Robert Hue, Communisme un nouveau projet, Edition Stock,
Paris 1999, 400 S., ISBN 2-234-05038-3, 120 FF
Um es vorweg zu sagen: auf die Beantwortung der Frage, was denn nun der Kommunismus sei, wartet man vergebens. Es ergeht einem hier wie in einem Fellini-Film: Wenn man meint, nun geht's endlich richtig los, ist er zu Ende. Am nächsten dran an einer Begriffsbestimmung ist der Autor, Nationalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), vielleicht in folgender Passage: " ... wenn die Bewegung sich nicht nur auf den Kampf gegen die Ungleichheiten, sondern auf ihre Aufhebung richtet, muss man die Pforten des Unternehmens überschreiten um sich nicht nur der Neuaufteilung der Reichtümer, sondern auch den Bedingungen, unter denen sie produziert werden (und den Mechanismen, die dem Kapital erlauben, den größten Teil davon zu akkumulieren), zuwenden."(145) Und im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Bürgerrechte, die in der Gesellschaft errungen wurden, auf die Unternehmen auszuweiten: "Die Bewegung gegen Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten, die Bewegung für die Änderung des Lebens und der Gesellschaft kann zur politischen Macht führen, darüber zu entscheiden, dass man die Lohnabhängigen nicht als Unterworfene (sujets), sondern als Bürger (citoyens) betrachten muss. Dies impliziert, dass sie das Recht und die reale Macht erlangen über die Bedingungen, unter denen sie die Reichtümer schaffen. Recht und Macht ihre Arbeit - und zwar als nicht voneinander getrennte - in die Hand zu nehmen, so dass sie in die Bedingungen, unter denen sie abläuft eingreifen können: welche Arbeitszeit? welcher Rhythmus? welche Geschwindigkeit? Recht und Macht informiert zu sein und in die Verwendung der von ihnen geschaffenen Reichtümer einzugreifen: welche Investitionen? welche Forschungen? welche Einstellungen? welche Qualifikationen? welche Löhne? Welche Preise?" (146)
In diesem Zitat fokussieren sich folgende wesentliche Aspekte des Buches:
Hören wir uns nun zwei der vielen wortreichen Verkündigungen des dépassement an:
"Es handelt sich um einen neuen Typ von Revolution: derjenigen der 'Zeit des Individuums', die das 21. Jh. kennen wird. Eine Revolution, die durch die Politik und weniger durch Gewalt; mehr durch die Vereinigung des Verlangens nach Veränderung als durch das Unheil eines Bürgerkrieges; mehr durch den Antritt einer neuen Ära der in jeder Hinsicht bürgerlich (citoyenne) werdenden Demokratie als durch die Begrenzung - auch wenn sie als 'provisorisch' oder 'für einen guten Zweck' deklariert wird - der Demokratie." (168)
"Ich sehe an erster Stelle den Horizont einer Gesellschaft des Teilens (partage)." Nicht so sehr des Teilens von Reichtum und Geld, "nicht was man hat, sondern was man ist. [...] Teilen der Kultur anstelle von Ungleichheiten und Elitebildung. Teilen der Kulturen anstelle ihrer gegenseitigen Ignoranz. Teilen des Wissens anstelle eifersüchtig angehäufter und gehüteter Kompetenzen. Teilung der Macht anstelle blinder und unflexibler Dominanz. Teilen der Zeit in eine kürzere Arbeitszeit und größere Freizeit. ..." (175-179)
Wem das etwas zuviel Idylle ist, der sollte sich noch zu den abschließenden "zehn Baustellen (chantiers) der Veränderung" durcharbeiten, wo es mehr um konkrete Vorschläge geht.
Dem dringendsten aktuellen Problem, der Arbeitslosigkeit, ist die erste Baustelle gewidmet. Sie trägt die Überschrift "Die Nation, mobilisiert für die Vollbeschäftigung".
Was die Entlassungen betrifft, seien angesichts der Schwierigkeiten, Über- oder Unterbeschäftigung festzustellen - die Unternehmen stellten selten Unterbeschäftigung fest und Untersuchungen unter unterschiedlichen Aspekten (ökonomisch, sozial, fertigungstechnisch, usw.) führten zu unterschiedlichen Ergebnissen - seien außer Arbeitsplatzgarantien angesagt: aufschiebende Maßnahmen, die die Rechte aller Beteiligten, Geschäftsführung, Beschäftigte, Betriebsräte, Gewerkschaften, andere Gewählte, Banken, andere Unternehmen, Repräsentanten des Staates festschreiben und andere Lösungen zugunsten der Arbeitsplatzsicherung zu erforschen ermöglichen; effektive Garantien bzgl. der Neueinstufung von Beschäftigten; durch Transparenz und Information hergestellte Bedingungen für antizipierende konzertierende Maßnahmen.
Was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft, hält es Hue zunächst für nötig, Gelder, die letztlich aus der Arbeit stammen - Profite der Unternehmen, Staatshaushalt, Kredite - der Beschäftigung wieder zuzuführen. Dabei müssten neue Kreditregeln mit Zinssätzen ins Auge gefasst werden, die zu Projekten ermutigen, die neuen Reichtum und Beschäftigung erzeugen. Auch könne man Pensionsfonds, Anlagefonds von Lebensversicherungen, Reserven des Rentensystems, Sparguthaben der Beschäftigten zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen heranziehen oder einen dezentral verwalteten Kooperationsfonds schaffen, der durch Abzüge von Finanz- und Spekulationsaktivitäten finanziert wird. Eine neue Fiskalpolitik müsse diesen Kriterien unterliegen: weniger "soziale Belastung", weniger Gewerbesteuer, weniger Abgaben, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch hält er die Stärkung der Kaufkraft für eine wesentliches Mittel, die Dynamik von Wirtschaft und Beschäftigung zu fördern, wohl wissend, dass dies dem "ehernen Gesetz" von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entgegenstehe. Kein Weg sei zu verschmähen: z.B. die Auflistung neuer Bedürfnisse, anhand derer schon jungen Leuten auf den Weg geholfen werden konnte; Versuche einer "Ökonomie der Nähe" oder einer "solidarischen Ökonomie", die von der Region unterstützt oder unterhalten werden; Einrichtung von Übergangstutorien, in der die vor der Rente stehenden ihre Erfahrungen den jungen übergeben.
Was hat Hue der Tatsache entgegenzusetzen, dass die Kommunen keinerlei Kompetenz für die Schaffung von Arbeitsplätzen haben? "Aber man hat mir von Bestandsaufnahmen zu errichtender Arbeitsplätze erzählt, die von den Einwohnern geschaffen wurden, von öffentlichen Zusammenkünften mit den Verantwortlichen der Unternehmen, von Patenschaften für Arbeitslose, um ihnen in ihren Schritten zu helfen. Warum es nicht versuchen?" (222)
Ich habe über diese zentrale "Baustelle" so ausführlich referiert, um die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf eine gänzlich andere Gesellschaftsordnung und den tatsächlich formulierten Vorschlägen, die nicht einmal einen Schritt an die Grenze der vorgegebenen Ordnung erkennen lassen, zu verdeutlichen. Die Forderung nach und die Begründung einer radikaler Arbeitszeitverkürzung fehlt! Wo ist der Unterschied zum Ausgleich von "Ungleichgewichten", den er bei den Sozialisten anprangerte?
Die Frage der Eigentumsverhältnisse ist für Hue kein Schlüsselproblem mehr. Sie verdienten es in ihrer "Verschiedenheit, Mixtur, ihrer Pluralität" als Moment des Reichtums, der Elastizität und der Dynamik erhalten zu bleiben (207). Folgerichtig geht es ihm auch nicht um eine Annullierung des Marktes, sondern darum, "seine Grenzen festzulegen und ihm seinen wahren Platz zuzuweisen" (231) und, da jeder Weg zu einer Vergesellschaftung mit der Rolle und dem Gewicht des Staates zusammenhängt, um einen Weg zwischen einem "maximalen" und einem "minimalen Staat" (254). Vorangegangene Wege einer Verstaatlichung bewertet er rein negativ. Was die Verstaatlichungen im Frankreich der 80-er Jahre im Gefolge des "Programme commun" angeht, führt er aus, dass neue Unternehmensleitungen nach denselben Kriterien wie ihre Vorgänger gearbeitet und dieselbe Enttäuschung erzeugt hätten. Dies erkläre auch, dass die späteren Reprivatisierungen - bis in die heutige Zeit hinein - ohne großen Widerstand über die Bühne gegangen sind. Dem wäre jedoch entgegenzuhalten, dass - wie Hue ja auch zugibt - Frankreich dabei ja ein kapitaldominiertes Land geblieben ist, somit an eine Vergesellschaftung noch gar nicht zu denken war, wenn man denn als minimale Voraussetzung von Vergesellschaftung die Subordination unter einen gesellschaftlichen Plan oder, wie man heute besser sagen sollte, an die Einbettung der Betriebe in ein Netz von Kooperationsbeziehungen, das durch das in gesellschaftlichen Foren abgestimmte öffentliche Interesse bestimmt wird. Aus den Verstaatlichungen im "sowjetischen Modell" (die in diesem Fall tatsächlich Vergesellschaftung waren) zieht Hue das wenig originelle Résumé: aufgeblähte Bürokratie und Staatsapparate, Trägheit und Paralyse und die reale Ohnmacht der Arbeiterklasse (in Anführungszeichen). Hätte er nicht erwähnen können, dass die auf Verstaatlichung beruhende Vergesellschaftung in den ersten 40 Jahren der SU mit ihren unzweifelhaft hierarchischen Strukturen dem taylorschen Produktivkraftmodell durchaus angemessen und auch überaus erfolgreich war und dass die interessanteren Fragen doch erst mit dem Scheitern der Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Revolution beginnen (was an anderer Stelle (378) in anderem Zusammenhang erwähnt wird)? Das Ausschlagen jeglicher Erfahrung aus dem "sowjetischen Modell" führt ihn jedenfalls zur Quadratur des Kreises: "Jeder Beschäftigte muss sich die Macht aneignen können, die ihm heute vorenthalten ist, muss in dem Maße, wie er die neuen Rechte ausüben kann, in der Lage sein irgendwie das Unternehmen zu 'regieren'." (260) Das Unternehmen gehört also weiterhin Kapitalisten, aber er soll es regieren; statt Besitzer der Produktionsmittel nun "Besitzer (propriétaire) des eigenen Lebens" (Überschrift der V. Baustelle)!
So radikal Hue mit praktisch allen kommunistischen Traditionen bricht, vom Ziel einer klassenlosen Gesellschaft über die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, der "Kultur der geplanten sozialen Veränderung"(200), der Avantgardefunktion der Partei bis hin zum Klassenkampf, der nur noch in Anführungszeichen stattfindet, so sanft will er den Kapitalismus überwinden. Sein kommunistisches Ziel erscheint, wie näheres Hinsehen gezeigt hat, als Potential der gegebenen Ordnung; seine Definition des Kommunismus bleibt unvollständig rekursiv (Kommunismus ist das was die Leute daraus machen) mit dem Ergebnis, dass die Kommunisten bereits in der Abenddämmerung des Kapitalismus, in der sich das Menschliche irgendwie von selbst durchsetzen werde (171), jegliche Identität verlieren. So hat denn mit Hue wohl auch die PCF die Mär vom Ende der Geschichte trotz gegenteiliger Beteuerung (43f.) auf ihre Weise erreicht.
Dieses Buch macht die Situation der DKP nicht leichter, sei es, im nationalen Maßstab, als (zahlenmäßig) unbedeutende Linkspartei, deren Marginalität dadurch verstärkt zu werden droht, dass die Übereinstimmung der kommunistischen Partei Frankreichs mit der PDS viel größer ist als mit der traditionell zugeordneten "Bruderpartei" oder, auf europäischer Ebene, wegen der sichtbar werdenden Schwächung kommunistischer Positionen, wie sie die DKP versteht, in einer Situation, in dem dem Projekt des Kapitals dringend ein gemeinsames Handeln entgegengesetzt werden muss.
Helmut Dunkhase, Februar 1999